Intelligent Personal Assistants — Sind klassische Webseiten bald schon wieder Schnee von gestern?

Die Welt des Internets dreht sich manchmal etwas schneller als unsere und gerade wo man meinen könnte, das Web sei innovations-gesättigt, kommt still und leise eine neue Welle auf uns zu. IPAs – Intelligent Personal Assistants könnten unseren Umgang mit dem Web so nachhaltig ändern, dass klassische Websites schon bald Schnee von gestern wären.

Wer im Film "Her", so wie ich, fasziniert Theodore dabei beobachtete, wie er eine bisweilen innige Beziehung mit seiner digitalen Assistentin Samantha aufbaute, der versteht wie ein wirklich intelligenter virtueller Assistent die Art und Weise wie wir Informationen „suchen“ und erhalten, grundlegend ändert. Theodore würde nicht mit der Tastatur eine Webadresse eines Restaurants eintippen, sich die Informationen auf einem Bildschirm ansehen und dann ein Formular abschicken. Vielmehr würde er sich lebhaft mit Samantha (IPA) über seinen Appetit austauschen und sie bitten in einem passenden Restaurant einen Tisch zu buchen (für zwei natürlich).

2011 gab Siri uns einen ersten Eindruck davon wie man mit einer Maschine spricht – die Nützlichkeit blieb aber (zumindest in deutscher Sprache) hinter den Erwartungen zurück. Und doch fühlte es sich wie „Zukunft“ an, oder?

Je intelligenter unsere Geräte werden, umso schneller ändern sie die Art und Weise wie wir mit dem Web umgehen. Das Web könnte bald nur noch eine Infrastruktur sein und nicht mehr der virtuelle Ort an den man sich begibt. Der Mensch begibt sich nicht mehr zu den Informationen, sondern unsere schlauen Bots holen die passenden Informationen zu uns.

Das Web von morgen zeigt einen fundamentalen Umbruch

Schauen wir uns die Zeit vor dem Internet, bzw. die des ganz frühen Internets an, wo noch niemand an die Webseite und den IPA der heutigen Zeit dachte, galt das Telefon als zentrales Interface zwischen Kunden und Unternehmen. Man konnte sich austauschen, fragen, ob ein bestimmtes Produkt auf Lager war, ob ein Zimmer fürs Wochenende frei war, wann ein Laden geöffnet hat … um dann Bestellungen aus dem Katalog aufzugeben, ein Zimmer zu buchen und die genaue Anfahrt zu erfragen und so weiter. Alles das also, was man heute ganz selbstverständlich und in der Hälfte der Zeit über moderne Webseiten macht. Kurzum: Damals war man mit dem Telefon erreichbar und derjenige, der ans Telefon ging, repräsentierte das Unternehmen und kümmerte sich persönlich um den Anrufer und seine Wünsche.

Als nun also das Internet und dessen Bedeutung wuchs, kam die Blütezeit der Webseite und plötzlich sollten es immer weniger Telefone, als viel mehr Online-Lösungen sein, über die man mit dem Unternehmen interagierte. Natürlich bedeutet das bis heute nicht, dass niemand mehr telefoniert, aber die Relevanz hat sich verschoben und zwei besonders positive Aspekte brachte es obendrein mit: kürzere Warteschleifen und schnellere Abwicklung durch gezielte Abholung des Users.

Eine ähnliche Verschiebung steht uns nun wieder bevor.

Was genau sind nun diese Intelligent Personal Assistants?

Die Grundidee besteht darin die Ein-und-Ausgabe Schnittstelle zu verändern und mithilfe von Sprachsteuerung und einer Art künstlichen Intelligenz dahinter den Vorgang wesentlich schneller und effektiver zu gestalten. Google unterscheidet bei diesen Vorgängen 4 Micro-Moments: I-want-to-know, I-want-to-go, I-want-to-do, I-want-to-buy.

Die großen Marktführer setzen bereits seit einigen Jahren – etwa mit Siri (Apple), Cortana (Microsoft) oder Google Now – auf diese Technologie; und haben schon jetzt unseren Umgang mit Suchfunktionen und den dahinter stehenden Inhalten revolutioniert.

Nun treten immer mehr Anbieter in den Markt der Intelligent Personal Assistants ein und es zeichnet sich ab, dass dieses neue Feature der Smartphone- und Hardware-Hersteller eine zentrale Rolle in deren langfristiger Strategie einnimmt. Mit Amazon Echo und Facebook M haben inzwischen alle der 5 größten Tech-Giganten einen Intelligent Personal Assistant im Angebot. IBM hat mit Watson einen weiteren vielversprechenden IPA entwickelt. Watson beeindruckt mit seinem Verständnis von Sprache und formuliert seine Antworten selbst, wohingegen andere IPA weitestgehend auf vorprogrammierte Antworten und somit auf menschliche Intelligenz zurückgreifen.

(Ebenfalls erwähnt werden sollten an dieser Stelle Hound, Viv, Mycroft und Assistant)

Aber wie äußert sich diese Entwicklung konkret?

1. Trend: Komplexere Suchen

Wie schon angesprochen: Unsere Art und Weise, Suchmaschinen zu bedienen, hat sich signifikant geändert und geht schon lang über nur die klassischen Keywords hinaus. Genau genommen sind Suchmaschinen heute Maschinen, die uns zuhören und dank des unbeschreiblich schnellen Fortschritts in der technischen Erkennung von natürlicher Sprache das vorlegen, was wir suchen. Künstliche Intelligenz also, mit der die konversationsbasierte Suche greifbar wurde. Zusätzlich gab es bei Google als Suchmaschinen-Marktführer das Hummingbird-Update und die Einführung von RankBrain; beide spezialisieren sich darauf, Suchanfragen noch besser zu interpretieren und fließen mit großer Wichtigkeit in den gesamten Suchalgorithmus ein.

Außerdem berücksichtigen Dienste, wie das gerade entstehende Google Now, sog. Implicit Signals (wie Uhrzeit, Standort, Gewohnheiten, Vorlieben usw.) und liefern dementsprechend Informationen (z.B. Distanz vom aktuellen Standort nach Hause), ohne dass wir überhaupt explizit danach fragen müssen.

2. Trend: Komplexere Suchergebnisse

SERPs (Search Engine Result Pages) waren vor 6 Jahren charakterisiert von 10 blau gefärbten Links mit kurzer Beschreibung darunter – ganz einfach dem Title und der Description. Das finden wir auch heute noch in den Suchergebnissen wieder, vielleicht mit einem höheren Anteil an gesponserten Ergebnissen aus dem SEA-Bereich. Was aber neu dazugekommen ist, nennt sich Direct Answer– sprich direkt in der App / in den Suchergebnissen dargestellte Informationen. Fragt man in diesen Tagen beispielsweise „Wer war Muhammad Ali?“, wird eine Computerstimme einem das erzählen. Fragt man das Wetter ab, so werden direkt in der App Angaben zur lokalen Wetterlage, Temperatur, stündlichen Niederschlagswahrscheinlichkeit und mehr gegeben – alles bereitgestellt von Drittservices, aber abrufbar auch ohne das Laden einer Webseite aus dem Suchergebnis heraus.

3. Trend: Automatischer Einbezug von Daten Dritter

In den ersten Versionen von Siri und Google Now wurden 3rd-Party-Integrationen noch direkt von den Herstellern integriert. Sportergebnisse, das Kinoprogramm, Wetter, News. Die Intelligenz der Dienste war daher noch limitiert.

In einem nächsten Schritt werden sich Dienste wie Google Now, Amazon Echo, Cortana und Siri mit sog. SDKs (software development kits) für Drittanbieter öffnen. Erst echte Künstliche Intelligenz macht dann auch diese „Integration“ obsolet.

4. Trend: Bots & Konversationsbasierte bzw. On-Demand User Interfaces

Suchen und Suchergebnisse mit künstlicher Intelligenz sind das eine – denkt man aber an konkrete User Interfaces auch außerhalb von Suchmaschinen, ist noch viel mehr möglich. Man stelle sich einen Online-Shop vor, wo man von einer Computerstimme empfangen wird, die einen in den Kaufprozess begleitet und blitzschnell herausfinden kann, was wir kaufen wollen und wie viel es kosten darf, woraufhin wir entsprechende Produkte angezeigt bekommen (Demonstration: Watson bei „The North Face“). Ähnlich den Verkaufsmitarbeitern im Geschäft also. Auch das ist im Kommen und geht über diesen Fall hinaus. Bots und spezialisierte User Interfaces sorgen – derzeit besonders prominent wohl bei Siri oder Cortana – dafür, dass Prozesse schneller, zielführender und einfacher werden, indem sie diese schlichtweg übernehmen.

Was sind die Auswirkungen all dessen?

Bessere Suchen mit weniger Frust

Google ist mit 95% Marktanteil unter allen Suchmaschinen die unangefochtene Nummer eins, was auch zeigt, wie abhängig die Nutzer von dem Dienst eigentlich sind. Google arbeitet hart daran die Benutzer zu befähigen und zu ermutigen komplexere Suchen durchzuführen, um Antworten auf Fragen zu bekommen, die bisher nicht gestellt werden konnten. Das hat viel mit dem Verständnis von natürlicher Sprache zu tun.

Die Zukunft wird also noch weitere revolutionierende Möglichkeiten bereithalten, um uns als Nutzer einen bestimmten Prozess immer noch einfacher und noch besser zu gestalten – was natürlich auch dazu führt, dass die Aspekte „dauert zu lange“ oder „finde nicht, was ich suche“ immer weiter bröckeln und Google noch mehr „unser Freund“ sein wird.

Google-Rankings werden irrelevant

Auf die SEO-Welt kann die Weiterentwicklung der IPAs einen negativen Effekt haben bzw. wird neue Wege erforderlich machen, sich im Web zu positionieren. Der klassische Ranking-Faktor mit Onpage- und Offpage-Optimierungen von Webseiten wird jedenfalls langsam an Relevanz verlieren, weil die neu entwickelten Suchergebnisse mit Direct-Answers und Integration von Drittdiensten direkt in diesen das Weiterleiten in vielen Fällen unnötig machen. Sucht man beispielsweise Flüge nach Berlin, werden die dargestellten Ergebnisse nicht mehr interessieren, sofern ganz oben eine App-Integration dafür sorgt, dass wir dort bereits günstig unseren Flug buchen können.

Außerdem werden Intelligent Personal Assistants klassische SERPs überflüssig machen, der Suchende bekommt keine Ergebnisliste mehr angezeigt, um sich dann ein Ergebnis auszusuchen. Der digitale Assistent wird schlau genug sein, um uns direkt den passenden Treffer auszuliefern. D.h. es zählt dann nur noch die Nummer Eins, diese ist aber wesentlich individueller und auf den Suchenden zugeschnitten.

IPAs reduzieren die Nutzungsdauer

Das schauen wir uns auch mit anhand der klassischen Rangreihe „Suchmaschine – Landingpage – Browsing – Checkout – Umsatz“ an, auf dem die meisten Webseiten aufbauen. Mit ihr wird aus der Sicht des Webseitenbetreibers zunächst deutlich, dass zwischen dem Seitenbesuch und dem tatsächlichen Umsatz durch den Produktkauf eine Menge Zeit liegen kann. IPAs sind in der Lage, diese Nutzungsdauer massiv zu reduzieren. Beispielsweise würde man über Siri schauen, welche Filme derzeit in den lokalen Kinos laufen. Ein Klick für die Filmauswahl. Ein Klick für das Kino. Ein Klick für den Tag bzw. die Vorstellungszeit und mit einem Klick auf „Kaufen“ gelangt man in den Checkout-Prozess des eigentlichen Anbieters, schließt diesen ab und das Thema ist abgehakt.

Zusammenfassung

Bei den Intelligent Personal Assistants handelt es sich abschließend um eine der größten, chancenreichsten und disruptivsten Entwicklungen des Internets. Menschen werden suchen, prüfen, entscheiden, kaufen und buchen – alles nur mit ihrem digitalen Assistenten. Eine klassische Web-Suche wird umgangen (das geschieht bereits) und auch auf die eigentliche Website wird man bald schon nicht mehr angewiesen sein, um Informationen zu erhalten (in vollem Gange) oder eine Buchung durchzuführen (innerhalb der nächsten 12 Monate).

Bei der Entwicklung von Apps und Websites wird die IPA-Integration in Zukunft den Stellenwert einnehmen, den SEA und SEO bisher hatten. Um die Eingangsfrage zu beantworten: Ja, es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass die klassische Webseite, in Zukunft recht schnell Schnee von gestern sein wird – so wie das Telefonbuch, dass über Wochen vor unserem Briefkasten im Treppenhaus steht, bis sich jemand erbarmt es in den Müll zu werfen.

Über den Autor

Webentwickler, SEO und CEO Richard Albrecht

Richard Albrecht ist Webentwickler, SEO und CEO und betreut mit seinem Unternehmen Kunden in ganz Deutschland. Gemeinsam haben sie seit 2006 über 1300 Website Projekte realisiert.

Richard berät als Dozent bei Seminaren und Veranstaltungen (z.B. Handelskammer und Handwerkskammer Hamburg oder Hamburger Gründertag) und veröffentlicht ab und zu über Themen, in die er sich bei der Arbeit tief eingearbeitet hat. Meist schreibt er über die technische und inhaltliche Optimierung von Websites und Suchmaschinenoptimierung.